Formula Student Team of Bonn-Rhein-Sieg University of Applied Sciences

Formula Student Team of Bonn-Rhein-Sieg University of Applied Sciences

Wissensmanagement in einem studentischen Rennsportteam – Interview mit Prof. Dr. Reith

„Die Aufgabe ist zu groß für einen Einzelnen“

 

Wieso ist Wissensmanagement in einem Formula Student-Team wichtig und wie kann man es gestalten? Bei hoher Fluktuation wird die Bedeutung von Wissensmanagement immer wichtiger. Unser Faculty Advisor Professor Dr. Dirk Reith spricht in dem ausführlichen Interview mit Martin Schulz der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg genau darüber.

Prof. Dr. Dirk Reith studierte Mathematik und Physik in Mainz und Schweden. Er promovierte in Mainz und war anschließend an bei der Daimler-Chrysler AG beschäftigt, bevor er sich wieder der Forschung widmete. 2012 erhielt er seine Professur für Mathematik, Physik und Simulationsanwendungen. Zudem ist er der Direktor des TREE-Instituts und Faculty Advisor des BRS Motorsport e. V.

 

 

H-BRS: Herr Professor Reith, sie betreuen das studentischen Motorsportteam an Ihrer Hochschule, das für jede Saison ein neues Elektro-Rennauto konstruiert und baut. In die jetzt zu Ende gegangene Saison mussten die Studierenden mit einem kaum erprobten Auto starten. Einen Titel in den Fahrdisziplinen konnte das Team daher – anders als in der Vergangenheit – nicht einfahren. Sie haben das so bewertet, dass es eine der wichtigsten Erfahrungen dieses Projekts sei, „aus Fehlern zu lernen und Probleme lediglich als Anlass zu nehmen, weiter zu wachsen.“ Wie wichtig sind Fehler für das Weiterkommen einer Lerngruppe?

Prof. Dr. Reith: Selbstverständlich möchte man die Zahl der Fehler durch geeignete Prozesse zunächst einmal so klein wie möglich halten. Aber das hat Grenzen, da man bei weitem nicht jedes Problem vorhersehen kann und man in gewissen Phasen unter starkem Zeitdruck handeln können muss. Menschen machen Fehler, sie sind grundsätzlich vorprogrammiert. Mir geht es in meiner Rolle nun darum, mit Fehlern so gut wie möglich umzugehen. Wenn man eine Atmosphäre schafft, die den Willen und die menschliche Größe fördert, aus eigenen Fehlern nachhaltig zu lernen, dann werden wahrhaft erfolgreiche Absolventen aus dem Projekt erwachsen. Natürlich tut das bisweilen weh und gelingt nicht immer, aber ich denke, wir haben bereits eine echte Fehlerkultur geschaffen, die uns als Team spürbar weiterentwickelt hat.

 

 

H-BRS: Ein Kennzeichen dieser Lerngruppe ist es, dass die Mitglieder ganz unterschiedliches Vorwissen mitbringen und nur wenig Erfahrung mit einem derart komplexen Projekt haben, wie es die Konstruktion eines Rennwagens ist. Wie findet jeder einen guten Platz und kann etwas zum Gesamtergebnis beitragen?

Prof. Dr. Reith: Hierzu gibt es mehrere Elemente, die teils von Anfang an da waren, aber teilweise auch erst später entwickelt wurden: Da sind zunächst die sogenannten „Subteams“, also Teilgruppen, die für einen klar umfassten Bereich verantwortlich sind. Dies können technische Einheiten wie Fahrwerk, Software oder Elektrik sein, ebenso wie Einheiten die sich um Sponsoring oder den Businessplan kümmern. Hier werden die produktiven Arbeiten koordiniert und gemeinsam bearbeitet. Das Besondere daran sind die Selbstorganisation, aber auch die Vielfalt. Hier arbeiten Studierende aus verschiedenen Studiengängen und Altersstufen eng zusammen, was informelles Lernen aller Beteiligten ermöglicht. Insbesondere die vertikale Integration vom Bachelor-Erstsemester bis hin zum Masteranden macht das Projekt recht einzigartig.

Es gibt jedoch auch spezielle Recruitingphasen und Einführungsveranstaltungen um wiederum zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Zum einen will man Neulingen das Onboarding so leicht wie möglich zu machen, zum anderen ist der Zeitaufwand für die Dozierenden so recht klein, d.h. es ermöglicht viel Wissenstransfer in kurzer Zeit.

Meine Rolle liegt dabei mehr in der Hilfestellung zur geeigneten methodisch-didaktischen Herangehensweise, also einem Mentoring und Coaching. Dies haben wir in einer sogenannten „Race Academy“ formalisiert und verstetigt. Wir sind so wirklich eng zusammengewachsen, kann man sagen. Nachdem Vertrauen aufgebaut ist, sieht und versteht man einfach viel mehr von der anderen Seite und das heißt, man entwickelt eine viel engere und damit tragfähigere Verbindung.

 

H-BRS: Um gegen die starke Konkurrenz bestehen zu können, muss das Produkt – wie auch das Team insgesamt – beständig weiterentwickelt werden, es muss immer „besser“ werden. Woher bezieht der Einzelne, woher bezieht das Team das dafür notwendige Wissen?

Prof. Dr. Reith: Es ist der Grundcharakter von komplexen Aufgaben, dass man nicht alles aus Büchern erlernen kann. Vieles beruht im Laufe der Zeit auf dem Erfahrungswissen der jeweils älteren Generation und es entwickelt sich ein kollektives Gedächtnis. Hierbei ist entscheidend, dass jedes Teammitglied einen Sinn in seinen Aufgaben sieht, sich am Erfahrungswissen bedient und einzelne Herausforderungen immer auch ins Gesamtprojekt einordnet, denn die Aufgabe ist zu groß für einen Einzelnen.

Es gibt aber auch ein curriculares Lehrkonzept, das ich drumherum entwickelt habe. Die Formula Student ist immer in erster Linie ein Projekt von Studierenden. Aber es war für mich naheliegend, es von Seiten der Hochschule auch formal zu unterstützen, da man irgendwann ein Niveau erreicht, wo man einfach nicht mehr weiterkommt, wenn nicht auch die strukturellen Dinge passen.

So leite ich schon seit Jahren einige Projekt- und Wahlmodule, welche direkt auf die Arbeit des Teams abgestimmt ist und auf hohem theoretischen wie praktischen Niveau laufen. Wer besonders viel Zeit in die Formula Student steckt, kann darüber hinaus ein offizielles Zusatzzertifikat erhalten.  Und einige Studierenden werden sogar seit ein paar Jahren in die Bachelor-Lehre miteingebunden. Das heißt, sie können als eigenverantwortliche Co-Referenten oder Co-Dozenten auftreten. In dem Moment, wo sie dies tun und Wissen im Rahmen regulärer Veranstaltungen weitergeben dürfen, vertieft sich auch das eigene Verständnis nochmal weiter. Das ist eine Konstellation, die ich auf diesem Niveau noch nirgends sonst gesehen habe und eine eigene Dimension, die dazugekommen ist. Zusammengefasst zieht das Team also das Wissen aus sich selbst, und ich versuche den Rahmen und Impulse so zu setzen, dass dies optimal ermöglicht wird.

 

H-BRS: Erfahrungswissen geht aber auch verloren, was zumal bei einer Gruppe von Studentinnen und Studenten ganz natürlich ist. Zum Beispiel, weil ältere Mitglieder ihren Abschluss machen und die Hochschule verlassen. Das Bewahren von Wissen und die Weitergabe an nachrückende Mitglieder sind folglich entscheidend dafür, um auf Dauer erfolgreich zu sein. Wie gelingt das in einer jungen Lerngruppe mit wechselnder Zusammensetzung?

Prof. Dr. Reith: Zunächst einmal: Wissen auf viele Köpfe verteilen, verschriftlichen und geordnet abspeichern. Das klingt alles leicht und selbstverständlich, ist es bei der praktischen Umsetzung aber nicht. Was hilft ist die jugendliche Neugier. Die Studierenden sind sehr findig und offen beim Entdecken neuer Tools, um sich das Leben leichter zu machen. Das alleine würde aber nicht reichen, einige Maßnahmen wie die „Race Academy“ und Anreize durch curriculare Anerkennung des Geleisteten habe ich bereits erwähnt.

Ein weiterer Faktor: Wir haben mittlerweile eine sehr starke Alumni-Basis geschaffen, die uns jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stehen, teils auch mit Hilfe von deren Unternehmen, wo wir immer wieder Teammitglieder hinschicken können. Die Alumni kommen aber auch selbst gerne bei Events, bei der Vorstellung des Autos der neuen Saison oder beim Saisonabschluss zu uns, sodass auch ich sehe, was aus denen wird, sie bleiben uns eng verbunden. Wir haben also auch als Hochschule einen oftmals engen Austausch mit den Unternehmen, zu denen Formula Student Absolventen gehen und können stetig verfolgen, was den Arbeitsmarkt umtreibt. Das ist sehr, sehr befruchtend in alle Richtungen. Aber nicht zuletzt sind es gerade die Alumni, die in Krisenzeiten der aktuellen Teamleitung zur Seite stehen und ihr Wissen dann weitergeben, wenn es am dringendsten benötigt wird. Das findet sich in keiner Exceltabelle auf dem Cloudspeicher.


H-BRS:
Die Gruppe hat ein gemeinsames Projekt, aber alle Beteiligten arbeiten aus freier Entscheidung daran mit und sind gleichberechtigt: Wie können unter diesen Umständen verbindliche Absprachen organisiert werden?

Prof. Dr. Reith: Autonomie ist auf jeden Fall ein riesengroßes Thema, da es ist ja ein Projekt ist, was von einer hohen Eigenmotivation lebt. Diese kommt glaube ich erst dann, wenn man das Ding zu seinem eigenen macht. Und das war es hier von Anfang an, also dass die Studierenden die Kontrolle über das Projekt haben und am Ende selbst dafür geradestehen, aber auch stolz sein dürfen, was getan wurde.

Das schafft eine höhere Verbindlichkeit, aber auch einen höhere Antrieb, auf jeden Fall auch mehr Emotion und damit ein sehr tiefes Eintauchen in die Sache. Man muss bereit sein, etwas zu geben. Die Didaktik spricht hier gerne von ganzheitlichem Lernen mit Kopf, Herz und Hand. Aber es muss halt eben auch Druck her, damit der Diamant entstehen kann. Und das ist genau das, was wir haben.

Auf dieser Basis war eine wichtige frühe Erkenntnis, dass man sich nicht nur als „Schraubertruppe“ mal eben in einer Werkstatt treffen und bosseln kann, sondern auch Zeit und Raum fürs Vorausschauen und Abstimmen braucht. Daher organisiere und leite ich regelmäßig mit der Race Academy Kernteam-Seminare, die wir meist mit der nötigen Ruhe an Wochenenden durchführen. Hier suchen wir auch nach den übergeordneten Zielen und es muss sich „bottom-up“ ein Wertekonsens einstellen. Und so haben wir uns entschieden, eben nicht alles dem Erfolg unterzuordnen, sondern den Spaß an der Sache und das Mitnehmen von allen die wollen möglich zu machen. Die Studierenden sagen „Das beste Auto baut man mit Freunden“, und dem kann ich mich nur anschließen.

Dadurch zeichnet sich das Projekt aus. Es ist Leiten ohne hierarchische Machtmöglichkeiten. Sie müssen es schaffen, auch Teammitglieder, die nicht Teil eines Kernteam drin sind, zu motivieren und anzuleiten. Die müssen auch Lust haben, sie sind genauso wichtig. Das heißt, diese Vielfalt, Projektmanagement, Führungskraft, aber eben auch das ganz tiefe technische Verständnis und das Ganze noch weiterzugeben, das ist das eigentliche Produkt des Projekts, neben dem Rennwagen.

Es ist dann nur eine logische Folge, dass diese Absolventen viel leichter einen Beruf finden, weil sie quasi schon Berufserfahrung mitbringen. Nach den 10 Jahren, die ich betreue, kann man sagen, dass auch die Jobqualität eine höhere ist. Es ist oftmals so, dass die Absolventen relativ früh in Führungspositionen kommen, weil sie das hier gelernt haben und mitbringen.

 

H-BRS: Herr Professor Reith, wie Sie gerade selbst sagen, betreuen Sie das studentische Motorsportteam seit nunmehr zehn Jahren als Faculty Advisor und sind somit die Konstante in diesem von Fluktuation geprägten Projekt: Was wissen Sie heute, was Sie seinerzeit gerne gewusst hätten?

Prof. Dr. Reith: Diese Frage ist wirklich nicht leicht zu beantworten. Natürlich weiß ich heute viel mehr über Rennwagen und was es braucht, um Jahr für Jahr einen Prototypen herzustellen. Dennoch ist jeder Schritt aus seiner Zeit heraus entstanden und aus der konkreten Konstellation von Rahmenbedingungen wie Manpower, Geld, Wissensstand oder Fertigungskapazitäten bei externen Partnern. Dabei weiß ich heute, dass es keine Kochrezepte gibt die immer gleich gut funktionieren, und dass man immer auf Überraschungen – positive wie negative – gefasst sein muss. Die 10 Jahre wurden von etwa drei bis vier Führungsgenerationen geprägt, die unterschiedliche Ziele und Werte in sich trugen. Da weiß ich heute, dass es mehr Zeit und Geduld erfordert als ich anfangs vermutet hätte, immer wieder neu eine Einheit aus den Individuen zu formen. Und diese Herausforderung nehme ich nach wie vorne sehr gerne an

 

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